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Thursday, June 10, 2010

SCHLESWIG-HOLSTEIN - Sozialminister Dr. Heiner Garg zur Eröffnung der Ausstellung FÜRSORGEERZIEHUNG - betreffend EHEMALIGE HEIMKINDER


Ministerium für Arbeit,
Soziales und Gesundheit
des Landes Schleswig-Holstein




Rede Sozialminister Dr. Heiner Garg
[ FDP ] zur Eröffnung der Ausstellung
„Für.Sorge.Erziehung“ am 18. 05. 2010 im Landeshaus Kiel
- es gilt das gesprochene Wort -


Anrede –

wer sich als heute mit den Schicksalen derer auseinandersetzt, die in der Zeit von Kriegsende bis in die frühen 70er Jahre als Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der sog. Fürsorgeerziehung untergebracht waren, den macht Verschiedenes betroffen.

Mir ging und geht es jedenfalls so.

- Da sind – zuallererst! – die persönlichen Schicksale. Ihre Schilderungen erzählen von Lieblosigkeit, wo Behütung hätte sein sollen, von vorenthaltener Bildung, vom Einsatz als billiger Arbeitskraft, von erzieherischem Totalversagen bis hin zu roher Gewalt, zu Misshandlung und Missbrauch.

- Betroffen macht auch, zu erfahren, wie sehr diese Kinder und Jugendlichen im Stich gelassen wurden. In diesem Haus, im Landtag von Schleswig-Holstein haben sich Abgeordnete seit den frühen 50er Jahren immer wieder mit den Zuständen im damaligen Landesfürsorgeheim Glückstadt befasst. Es war schon damals klar, dass die Verhältnisse dort nicht nur nicht angemessen, sondern in jeder Hinsicht unhaltbar waren. Und dennoch hat es Jahrzehnte gedauert, bis diesen Zuständen ein Ende gemacht wurde.

- Und schließlich macht betroffen zu sehen, wie sehr für viele der damaligen Zöglinge der ganze weitere Lebensweg geprägt und beschädigt worden ist durch die Erfahrung der Zeit im Heim. Eine Erfahrung, die viele von ihnen bis heute nicht verarbeiten, ganz oft nicht einmal mitteilen konnten.

In den letzten Jahren hat eine öffentliche Debatte und Aufarbeitung begonnen, angestoßen und eingefordert durch ehemalige Heimzöglinge – und diejenigen von ihnen, die heute hier sind, begrüße ich an dieser Stelle ganz herzlich!
Sich der Erinnerung zu stellen, das ist oft auch schmerzlich. Es öffentlich zu tun, erfordert auch Mut – Sie verdienen dafür unseren Respekt!

Ich bin meiner Vorrednerin, Frau Dr. Trauernicht, dankbar dafür, dass sie in ihrer Amtszeit als Sozialministerin einen Runden Tisch für die ehemaligen Heimzöglinge eingerichtet hat. Damit hat erstmals das „offizielle“, das politische Schleswig-Holstein den Betroffenen Gehör geschenkt. Ich will ganz klar sagen, dass ich den eingeschlagenen Weg von Aufarbeitung und Aufklärung weitergehen werde.

Die Ausstellung „FÜR.SORGE.ERZIEHUNG“ über die Geschichte der Fürsorgeerziehung in Schleswig-Holstein von 1949 bis 1974 ist ein Ergebnis und ein Dokument dieser Aufarbeitung. Sie veranschaulicht in beklemmender Deutlichkeit, was es bedeutet, Fürsorgezögling gewesen zu sein.

Der Titel der Ausstellung, die Worte „FÜR - SORGE - ERZIEHUNG“, verweist auf den Widersinn dessen, was damals in öffentlicher Verantwortung geschah.
Eigentlich sollten diese Worte, für sich und auch gemeinsam, positive Empfindungen auslösen: FÜR jemanden da sein, sich um jemanden oder für jemanden SORGEN, sich um die ERZIEHUNG junger Menschen sorgen, DAFÜR SORGEN, dass ERZIEHUNG zu einer verantwortungsbewussten, das Leben gestaltenden Persönlichkeit stattfinden kann, dass Fähigkeiten und Begabungen auch trotz widriger Umstände gefördert und entwickelt werden… –
aber für all das steht das Wort Fürsorgeerziehung nicht. „Fürsorgeerziehung“ ist heute geradezu Inbegriff der Pervertierung der gerade genannten positiven Bedeutungen.

Für die, die sie erlebt und erlitten haben ist „Fürsorgeerziehung“ ein Schreckenswort.
Die Ausstellung zeigt sehr eindringlich, warum: Nichts Positives steckt in den Bildern und den Texten ihrer Erlebnisberichte.
„Was habe ich getan, dass so etwas mit mir passierte“ - wer sich mit der Geschichte der Fürsorgeerziehung in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts befasst, dem begegnet diese Frage immer wieder – in Gesprächen, Berichten, in Zeitdokumenten in denen Ehemalige zu Wort kommen.
Auf diese Frage können wir ihnen bis heute keine klare Antwort geben. Wir schulden ihnen aber – das ist das mindeste – das Bemühen um eine Antwort! Ebenso wie auf die Frage, warum die Verhältnisse in Glückstadt und anderen Heimen so lange möglich waren, trotz des öffentlichen Wissens um ihre Unhaltbarkeit.

Ich meine, einen Hinweis enthält ein Satz, den man im Zusammenhang mit der damaligen Fürsorgeerziehung ebenfalls häufig hört und liest – und den viele Ältere noch kennen: „Wenn du nicht gehorchst, kommst du ins Heim“.

Diese Drohung hatte etwas Erschreckendes - und das sollte sie auch. Der Weg „ins Heim“ war Druckmittel einer Pädagogik, die nicht auf die Entwicklung von mündigen, selbstbewussten und für das Leben gut vorbereiteten jungen Menschen ausgerichtet war. Sie war auf Disziplinierung durch Demütigung und Schikane ausgerichtet.

Auch wenn es schon damals Einrichtungen gab, die auch nach heutigen Maßstäben gut gearbeitet haben – die Mehrzahl, das zeigen auch die Beratungen am Runden Tisch in Berlin, haben so gearbeitet, dass wir uns heute dafür schämen müssen.
Vielleicht auch deshalb ist die öffentliche Erziehung der Nachkriegszeit ein „blinder Fleck“ auf der Landkarte der Zeitgeschichte in unserem Land. Diese Ausstellung soll dazu beitragen, dies zu ändern – denn Respekt braucht Erinnerung!

Wir schulden den Ehemaligen nicht nur Respekt, sondern auch Dank – weil sich aus Aufarbeitung der Geschehnisse von damals auch für die heutige öffentliche Erziehung lernen lässt. Die aktuellen Berichte über Übergriffe in der jüngeren Zeit machen das ganz deutlich: Wir tun gut daran, Gewalt und Missbrauch nicht als historisches oder als gesellschaftliches Randphänomen zu bagatellisieren. Und wir tun auch gut daran, eine Lektion nicht zu vergessen: Es waren nicht einzelne, die damals falsch gehandelt haben. Es war ein Fürsorgesystem als Ganzes, das so etwas möglich machte

Anrede –

Auch wenn wir als Regierungsmitglieder und Abgeordnete des Jahres 2010 nicht die Verantwortung für das Versagen unserer Vorgänger vor Jahrzehnten tragen – so haben wir aber Verantwortung dafür, dass dem damaligen Unrecht heute nicht ein neues Unrecht hinzugefügt wird: Wir sind nämlich jeder und jedem Ehemaligen schuldig dass es eine Rehabilitierung ihrer Lebensläufe gibt und ihre Leidensgeschichten wahrgenommen und gewürdigt werden. Und wir sind ihnen schuldig, Unrecht als solches zu bezeichnen und für das, was geschehen ist, um Entschuldigung zu bitten. Ich entschuldige mich bei Ihnen.

Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat sich im vergangenen Jahr mit der Fürsorgeerziehung in Schleswig-Holstein befasst. Die Abgeordneten haben ihr tiefes Bedauern zum Ausdruck gebracht und sich zur Verantwortung der Aufarbeitung bekannt.
Es war klar, dass es mit dem damaligen Beschluss nicht sein Bewenden haben konnte und sollte. Wir haben uns zu der Verantwortung bekannt und wir werden das auch künftig tun. Auch dafür steht, dass wir die Ausstellung heute an diesem Ort eröffnen. Dass wir das tun können, haben wir vielen zu verdanken: Namentlich Herrn Professor Schrapper, der mit seinem Team Material zusammengetragen und in vielen Gesprächen und Interviews mit Ehemaligen eine wirklich beeindruckende Dokumentation zur Fürsorgeerziehung, insbesondere im Landesfürsorgeheim Glückstadt, geschaffen hat.
Zu danken ist auch der Stiftung des Sparkassen- und Giroverbandes, ohne deren finanzielle Hilfe diese Ausstellung nicht hätte realisiert werden können.
Dank gilt weiterhin dem Kinderschutzbund, der sich als Träger dieser Ausstellung bereit gefunden hat und Frau John für ihr persönliches Engagement.

Ihnen, meine Damen und Herren, danke ich dafür, dass Sie gekommen sind um sich ein Bild zu machen. Ich hoffe und bin zuversichtlich, dass diese Ausstellung weitere Diskussionen und Lernprozesse anstoßen wird – heute Abend, und sicher auch in den kommenden Monaten. Die Ehemaligen haben es verdient!
Ihnen, ohne deren mutiges Zeugnis dies nicht möglich wäre danke ich zum Abschluss – aber vor allen anderen!

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